1. Lerneinheit: Lebensabschnitte und Entwicklungsaufgaben
4. Das Konzept der lebenslangen Entwicklung
4.2. Leitlinen der lebenslagen Entwicklung
1. Entwicklung endet nicht im frühen Erwachsenenalter
Das traditionelle Konzept der Entwicklung unterscheidet - wie dargestellt - grob zwischen einer Phase des Aufbaus und Wachstums, einer Phase der Reifung und Stabilität und einer Phase des Alterns oder Abbaus. Die moderne Entwicklungspsychologie wendet sich gegen die Gleichsetzung von Altern und Abbau. Die Entwicklung enthält über die gesamte Lebensspanne die Aspekte Wachstum und Abbau. Neue Funktionen werden durch Alte ersetzt. Entwicklung ist immer auch Spezialisierung unter Vernachlässigung alternativer Optionen.
Im höheren Lebensalter gibt es typischerweise eine Häufung von Verlusten, z.B. auf neurobiologischem Niveau und auf sozialer Ebene. Welche Wachstumsmöglichkeiten bleiben aber im Erwachsenenalter und höherem Alter?
Früher fand eine Konzentration auf „Expertenwissen“ statt (Berufserfahrung oder sonstiges spezifisches Wissen). Heute beruft man sich hingegen vor allem auf soziale Intelligenz, Lebenswissen und Weisheit.
- Faktisches Wissen über grundlegende Fragen des Lebens;
- Strategisches Wissen über den Umgang mit diesen Fragen;
- Die Fähigkeit, Wertvorstellungen und Lebensziele zu relativieren;
- Die Fähigkeit, in Kontexten und wandelnden Bedingungen des menschlichen Handelns und gesellschaftlicher Entwicklung zu denken;
- Das Akzeptieren von Ungewissheit.
Dazu gehört unter anderem das Vermeiden vorschneller Entscheidungen, das Sammeln relevanter Informationen, das Abschätzen der Vor- und Nachteile verschiedener Handlungsalternativen sowie das Denken in längeren Zeiträumen.
Es lässt sich nicht behaupten, dass alle alten Menschen weise sind. Weisheit nimmt aber im Altern nicht frühzeitig ab, wächst sogar im Zuge der Auseinandersetzung mit Problemen des Lebens.
2. Verschiedene Dimensionen einer Funktion haben unterschiedliche Entwicklungsverläufe
Betrachten wir beispielhaft die Dimensionen der Intelligenz, so stellen wir fest, dass bestimmte Dimensionen (Erfahrungswissen, allgemeines Wissen, Gedächtnisstrategien u.a.) bis ins hohe Alter durchschnittlich erhalten bleiben können und Einzelfällen sogar noch weiterentwickelt werden, während andere (Geschwindigkeit der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen) an Fertigkeit verlieren. In Kindheit und Jugend ist hingegen eine parallele Entwicklung beider Fähigkeitsbündel (Intelligenzarten) zu verzeichnen.
3. Es gibt Spielräume und Grenzen für Entwicklungsförderung
Was sind die Gründe für den Abfall der Intelligenzleistungen, die mit Geschwindigkeit zu tun haben? Sind sie auf fehlende Übung oder aber auf neurobiologische Funktionsverluste zurückzuführen? In Untersuchungen konnten ungenutzte Reservekapazitäten nachgewiesen werden. Die Intelligenz ist also auch noch im höheren Alter trainierbar. Auf der anderen Seite lassen sich jedoch auch Grenzen der Entwicklungsmöglichkeit feststellen. Unterzieht man ältere Personen einem Test nach der Methode „testing the limits“ so zeigt sich, dass die Verarbeitungsgeschwindigkeit bei älteren Personen deutlich niedriger ist als bei jüngeren. Dieser Leistungsabfall lässt sich wohl auf neurobiologische Funktionsverluste bei den älteren zurückführen.
4. Verluste können potentiell kompensiert werden
Das Entwicklungsmodell der selektiven Optimierung geht davon aus, dass Einbußen in einzelnen Funktionsbereichen mit einer Optimierung in anderen kompensiert werden können. Hierfür ein Beispiel: Ältere Schreibkräfte schreiben genauso schnell wie jüngere, obwohl die psychomotorische Reaktionsgeschwindigkeit nachweislich langsamer wird. Hier geschieht ein Ausgleich der Verlangsamung durch die erfahrungsbedingt optimierte Fähigkeit, den zu schreibenden Text vorab auszulesen und zu verstehen.